Offener Brief an Oberbürgermeister Thomas Kufen: Rassistische Polizeigewalt in Essen

 

Nachdem die Stellungsnahmen von Essener Oberbürgermister so viele Aufmerksamkeit und Polemik in der Lokalpresse hervorgerufen haben, hatte das ART das Bedürfnis, unsere Positionen und Kritiken direkt an Herr Kufen zu senden:


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kufen,

Wir möchten uns auf diesem Weg zur den aktuellen Erklärungen Ihrerseits und Ihrer Kollegen aus den Fraktionen in der Presse äußern und das ausdrücklich empört.

Sie und Ihre Kolleg*innen stellen sich hinter die deutsche, hinter die Essener Polizei. Sie weisen jeden Vorwurf zu Rassismus und erst Recht zu unverhältnismäßiger, rassistisch begründete Polizeigewalt vehement zurück. Sie haben eine Debatte über die Wortwahl und Vergleiche einer Verdi-Aktivistin im Rahmen einer Kundgebung zu Georg Floyd angefacht. Uns erscheint das allerdings wie eine willkommene Ablenkung und Spiegelfechterei. So muss man nicht über die zum Teil ungeheuerlichen Fälle sprechen, die in den letzten Wochen und Monaten in Essen öffentlich geworden sind.

Damit ignorieren Sie den Vorstoß Ihres Innenministers Reul, der für NRW Extremismusbeauftrage für die Polizei etabliert hat. Diese haben seit Ende April ihre Arbeit aufgenommen, um auch ausdrücklich rechte Tendenzen in der Polizei zu bekämpfen.

Während wissenschaftliche Expert*innen zum Beispiel der Universität Duisburg Essen mit empirischer Forschung belegen, dass es sehr wohl Rassismus bei der Polizei gibt, auch in Essen, nimmt die Essener Stadtspitze die gesamte Essener Polizei pauschal in Schutz.

Es ist für uns nicht nachvollziehbar, sich angesichts dieser Vorwürfe vorbehaltslos hinter die komplette Essener Polizei zu stellen:

Eine 50jährige schwarze Deutsche war Anfang März mit ihren jugendlichen Töchtern in Essen zum Shoppen. Ihr wurde das Portmonee geklaut.
Als sie in der Polizeiwache Essen Mitte Anzeige erstatten will, kommt es laut ihrer Angabe zu rassistischen Beleidigungen und massiver Polizeigewalt ihr gegenüber und auch gegenüber ihren Töchtern.
Ebenso ihr Sohn, der nach einem Anruf besorgt zur Wache eilt, wird im Anschluss mit Schlagstock und Tränengas massiv verletzt. Die Polizei ruft ihm einen Krankenwagen. Auch Mutter und Tochter müssen ins Krankenhaus. Im Anschluss erstatten sie Anzeige.

Eine Journalistin hatte auf Twitter auf den Fall aufmerksam gemacht. Deshalb ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft und die Polizei in Bochum. Der öffentlich rechtliche Sender WDR wurde auf den Fall aufmerksam und hat sorgfältig recherchiert.

Der Bericht erschien Sonntag bei Westpol als Aufmacher und ist noch mindestens ein Jahr in der Mediathek. Auch andere bundesweite Medien griffen den Fall auf. Hier in Essen wird er von der Politik und der lokalen Presse kommentarlos zur Kenntnis genommen, obwohl Innenminister Reul sich dazu bei Westpol äußert.
Ist dieses Desinteresse an diesem ungeheuerlichen Vorfall und schwerem Vorwurf an für sich schon rassistische Ignoranz gegenüber einer schwarzen deutschen Mitbürgerin?
Haben Sie den Westpolbeitrag gesehen?
Können Sie mit ruhigem Gewissen sagen, dass Sie an der Aussage der Frau zweifeln und die Gewalt von Polizisten an der Frau und ihren Kindern verhältnismäßig war, ohne jeden Zweifel?
Auch wenn Sie die im Krankenhaus dokumentierten Verletzungen zur Kenntnis nehmen?
Können Sie dann im Umkehrschluss rassistische Beleidigungen ausschließen und halten derlei Angaben für Phantasie?

Denn das würden Sie mit einer vorbehaltslosen Rückendeckung „Ihrer“ Essener Polizei den mutmaßlichen Opfern, aber auch allen anderen Einwohner*innen dieser Stadt zu verstehen geben.

Für Menschen, die bereits Erfahrung mit Rassismus gemacht haben, aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer Merkmale, ein fatales Signal.
Diese Einwohner und wir mit ihnen erwarten von einem OB, dass er hinter allen Bürger*innen steht und sich für sie einsetzt.
Wir erwarten, dass ein OB ihre Nöte ernst nimmt, besonders wenn es um rassistische Erfahrungen im Umgang mit Behörden geht und mit der Polizei, die das staatliche Gewaltmonopol innehat und dieses mit absoluter Sorgfalt bedingungslos zu achten hat.

Eine tiefgehende Prüfung aller Vorwürfe durch eine vollkommen unabhängige Stelle sollten deshalb auch Sie wünschen, übrigens auch im Interesse der Essener Polizei.

Wir erwarten interessiert eine Stellungnahme zu unserem Schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Anabel Jujol
im Auftrag für das
Antirassismus-Telefon-Essen

Brief als PDF